Damm-Vorbereitung: Vom Müssen ins Vertrauen

Welche Funktion hat der Damm? Was bewirkt die Damm-Massage? Muss ich den Damm vorbereiten?

 

Wenn ein Kind geboren wird, bedeutet das für die Mutter ein Los-Lassen «ihrer» Schöpfung. Es ist das Los-Lassen in etwas Unbekanntes. Das Kindlein loslassen in etwas, was ausserhalb unseres Behütens liegt, damit es seinen ganz eigenen Weg geht und seine eigenen Erfahrungen machen kann, bedeutet eine Trennung von Mutter und Kind. Und die Liebe begleitet diese Trennung mit Schmerz. Ein Teil des Mutter-Herzens begleitet das Kind immer. Dieser Trennungsschmerz, der Ausdruck dieser grossen Mutter-Liebe ist, kann manchmal unter der Geburt einen körperlichen Ausdruck finden, in Form einer Verletzung des Dammes oder der Brustwarzen. Diese Verletzung kann gesehen und geheilt werden und dem Trennungsschmerz Ausdruck, Zeit und Sorge zur Heilung liefern.

Aber auch andere Erfahrungen liessen mein Erkennen weiten. Immer wieder sind es die Frauen und Kinder, die mich die Physiologie sehen lernen. Sie nehmen mich bei der Hand und führen mich. Als würde etwas Grösseres mir die Geschichten genau in der Abfolge zuspielen, damit ich sie verstehen und interpretieren kann. So auch bei der Frage, um den Damm, seine Aufgabe und seinen Schutz.

Hierzu ein Beispiel: Eine Frau hat bei ihrer ersten Geburt einen Dammschnitt erfahren und die Naht stand danach weiss, derb und bei der Sexualität schmerzhaft erinnernd im Raum. Vor ihrer zweiten Geburt kam die Dammborbereitung als Thema und wir beschauten uns diesen Teil ihres Körpers. So gut es ging, versuchten wir die Liebe und damit Heilung für diesen Teil zu wecken. Die Narbe blieb aber weiss und straff. Unter der Geburt stand der straffe Damm wie ein Stopp vor der Geburt und die Mutter brauchte ein bewusstes, inneres Ja zum Loslassen. Der Damm riss. Ich wollte den Riss bereits nähen und kniete mit Nadel und Faden davor, da sagte mir die Frau: „Nähe ihn nicht! Lass ihn sein.“ Innert zehn Tagen heilte der Damm wunderschön zusammen. Er sah danach aus, als sei er nie verletzt gewesen. Auch die derbe, weisse Narbe des Dammschnitts war verschwunden. Diese Frau hatte das Vertrauen in ihren Körper gefunden und überliess ihm die Heilung. Damit konnte der Damm auch alle alten Wunden ausheilen.

 

Der Körper weiss, wie er sein will, wie sich Ganzheit und Heilung anfühlt und arbeitet darauf hin. Wenn wir ihm vertrauen, dass es auch heilen und zuwachsen kann, tut er das besser als jede Naht. Beim Nähen, kann es sein, dass wir nicht immer den richtigen Teil zusammenbringen. Dann braucht der Körper lange, bis er das korrigiert hat. Einmal habe ich einen Damm nicht richtig zusammengenäht und er musste sich mit einem Pilz gegen diese Irritation wehren. Der Körper hat seine eigenen Möglichkeiten sich zu helfen. Eine Infektion z. B. kann zu einer Neuorientierung im Gewebe führen und dem Körper helfen, wieder seine gefühlte Heilung und Richtigkeit zu erlangen.

 

Eine andere Frau fragte mich ein halbes Jahr nach der Geburt ihres Kindes um Rat. Sie gebar mit einem heilen Damm, aber mit einer Verletzung an den Schamlippen, die genäht wurde. Sie fühlte sich wie zu eng zugenäht. Es sah alles normal aus. Vielleicht wurde der Faden zu stark angezogen und hat dem Gewebe damit seine Fähigkeit zu Selbstheilung abgesprochen. Oder die Frau empfand das Nähen, als nicht richtig. Die Frauen fühlen das. Es fühlt sich für sie nicht richtig an. Und obwohl man von aussen nichts Auffälliges sieht, bleibt dieses Gefühl.

Das heisst nun nicht, dass alle Verletzungen nicht genäht werden sollen. Aber in den Frauen gibt es meist ein gutes Gefühl von ihrer Heilungsfähigkeit. Sie spüren meist, was nötig ist. Seitdem ich das weiss, frage ich die Frauen, bevor ich nähe, was für sie richtig ist. In meiner Haltung beim Nähen kann ich dann einen weiteren Ausdruck meiner Hochachtung und Wertschätzung gegenüber dem Gewebe, der Geschichte und Weiblichkeit der Frau bekunden, indem ich mich bei ihm bedanke für seine Offenheit dieser medizinischen Begegnung.

 

Wann gibt ein Damm seine Integrität auf, um das Kind ins Leben zu entlassen? Es gibt Studien zum Thema Dammschutz/ -riss. Es gibt Hebammen, die nennen einen guten Dammschutz als die einzig richtige Art, eine Verletzung vorzubeugen; oder die angepasste Gebärposition. Es gibt auch eine Haltung des Abwartens und gar nichts tun. Es entstanden die Empfehlungen der Dammmassagen oder der Gebrauch eines Epino`s, als Hilfsmittel für eine gute Dammvorbereitung. Alles mag je nach dem passen. Aber was löst dieses Wissen in den Köpfen der Schwangeren und den Hebammen aus? Welche Gedanken schaffen ein körperliches Entspannen? Das ist nicht bei allen gleich. Und es gibt Gedanken des Stresses. Z. B. wenn die Frauen denken, ab der 36 SW muss ich die Dammmassage machen, denn ohne die reisst mein Damm. Oder bei Hebammen kann der Gedanke entstehen, wenn ich etwas nicht richtig mache, reisst der Damm und ich bin schuld.

 

Ich habe lange gesucht und versucht zu erkennen, was helfen könnte. Ich habe mich auch gefragt, ist ein Damm, der nicht Angst hat, besser fähig seine Aufgabe zu übernehmen? Meine Erfahrungen liessen aber keinen eindeutigen Schluss zu. Dann habe ich mir die Frage gestellt, wie muss sich ein Damm fühlen, um seine Aufgabe gut zu tun? Was hilft ihm dabei? Was würde mir als Mensch helfen, eine grosse Arbeit zu erfüllen? - Mir helfen Unterstützung, Glaube, Vertrauen, Ermutigung, Entspannung oder keine äusseren Stressoren Es ist nicht allein die Angst. Am meisten helfen die inneren Bilder, die die Frauen von ihrer Körperlichkeit und deren Funktion haben. Denn die Frauen, die von der Funktion des Dammes erfahren haben, hatten weniger Verletzungen, egal ob sie ihn vorbereitet haben oder nicht.

 

Es gibt keine unsinnigen Funktionen. Egal wie gross ein Organ ist. Es will uns dienen und helfen. So auch der Damm. Er kennt seine Aufgabe vor und während der Geburt und bereite sich darauf vor, indem er sich mit dem Einschwemmen von Flüssigkeit polstert. Unter der Geburt kommt er mir immer wie eine gütige, führende Hand vor, die das Kind ins Leben begleitet und sanft aus dem Körper entlässt. Ich erzähle den werden Mütter von dessen Physiologie. Wie sich die ganze Scham vor der Geburt einschwämmt, damit sie weicher wird, wie ein Polster. Wenn das Kind darauf trifft, umfängt es dessen Köpfchen zuerst sanft und kann dann langsam Platz und Raum geben. Die Scham wird auch dunkler und damit strapazierfähiger. Damit wird der Damm wie eine Mutter, die ihr Kindergartenkind am Hauseingang zurückhält und fragt: Hast du alles dabei: Kindzgibändel, Znünitäschli, warst du auf dem WC? Und wenn alles ok ist, gibt sie noch ihren Segen in Form eines Kusses mit auf den Weg. Damit hilft der Damm mit, dass es nicht zu schnell geht und dass das Kind und die Mutter Zeit haben, sich zu verabschieden und sich anzupassen. Z. B. hat sich damit die Schulter gut hinter die Symphyse gestellt, das Kind und die Mutter sind wirklich parat für den letzten Akt.

Wenn wir dem Damm diese Achtung und Respekt entgegenbringen, wird er uns besser dienen. Unsere Gedanken und inneren Bilder helfen Ihm. Er fühlt sich gesehen und wertgeschätzt und verrichtet seine Aufgabe besser. Auch für alle, die bei der Geburt dabei sind, ist diese Bild wichtig, sprich, Väter, Hebammen, Ärzte. Unsere Haltung unterstützt die Funktion. Was wir heiligen, heiligt uns zurück. Damit können wir beitragen.

Es ist auch immer wieder eindrücklich, wie dieser kleine Teil von uns Frauen unter der Geburt an sein Maximum geht. Der Damm dehnt sich um das X-fache. Er hat so viele Nerven und damit unser Gefühl von Mitte. Er ist unsere Mitte und unser Verständnis wie wir in der Welt stehen, wie wir uns aufrichten und ausrichten. Er ist der zentrale Punkt unserer Seins. Jede von uns ist stark mit dem Umgebenden des Dammes verbunden, wie dem Anus und der Scheide. Gerade der Anus ist mit seiner Funktion ein wichtiger Ort unseres Wohlbefindens. Oder wer kennt das nicht: kann nicht aufs Klo und ist in seinem Wohlbefinden gestört? Wie oft zeigt sich dort unsere ganze Anspannung oder Entspannung unseres Lebens? Auch unserer Sexualität ist eng mit unserem Wohlbefinden im Leben verwoben. Somit ist der Damm der zentrale Punkt, der beides verbindet. Er ist ein wichtiger Teil unserer Weiblichkeit und unseres Seins. Mit diesem Gefühl stehen wir im Leben. Im Damm ist unsere ganze Erfahrung, die wir als Frau und Mensch in dieser Welt gemacht haben gespeichert. Wenn das Kind in den Raum des tiefen Beckens tritt und dort unseren weiblichen Teil berührt, berührt es unser Frau- und Mensch-Sein.

 

Frau- und Mensch-Sein in dieser Gesellschaft: wenn es darum geht den Damm zu würdigen, damit er uns dient, geht es im übertragenen Sinne auch darum, die Frau zu würdigen in ihrem Schöpfungsakt. Aber das ist ein Kapitel für sich.

 

Wie beleben wir unsere tiefste Mitte? Der Damm ist der Ort, wo sich der Körper in der Embryonalzeit verschliesst. Unserer Körperlichkeit verschliesst sich dort. Gleichzeitig ist es der Ort, der mitverantwortlich ist für unsere Aufrichtung und Orientierung, im wirklichen, wie im übertragenen Sinne. Die Geburt eines Kindes und Öffnung dieses Ortes ist auch das Loslassen unserer weiblich/menschlichen Integrität. Es verlangt von uns alles. Es ist ein Schritt ins Unbekannte, ins Ungewisse. Es verlangt unser ganzes Vertrauen. Ein Vertrauen in unsere Körperlichkeit, die uns nicht im Stich lässt, wenn wir ihr vertrauen und unseren Verstand und unsere Kontrolle loslassen. Unser Körper ist mit allem da, uns zu dienen, sei es noch so klein, wie z. B. ein Damm. Er hat eine besondere Aufgabe und Verantwortung. Wie eine gütige Mutter segnet und küsst er das Kind, bevor es die Mutter verlässt. Wenn wir ihm mit dieser Dankbarkeit begegnen, freut er sich. Deshalb ermutige ich die Mütter ihrem Körper und diesem intimen Ort mit Liebe zu begegnen. Eine Dammmassage darf nicht wehtun und soll - wenn überhaupt - kein Müssen sein. Früher haben die Frauen ihre Scham bedampft und damit die Physiologie (mehr Wasser ins Gewebe bringen) unterstützt. Dabei sind sie einfach mit ihren langen Röcken über eine Schüssel heissem Wasser gestanden. Heute kann Frau z. B. eine Schüssel mit heissem Wasser ins Klo stellen und draufsitzen oder kann Sitzbäder machen.

 

Wenn ich den Frauen von dieser Physiologie erzähle, geht oft wie ein Aufatmen durch sie. Es hat nichts mehr mit einem Müssen zu tun. Mit den inneren Bildern kreieren wir Raum in uns, der uns in vieler Hinsicht weitet. Sie formen die innere Sicherheit, das Vertrauen und das Sich-Öffnen.

 

Spüre selber hin, was all die Gedanken mit dir machen. Gibt es ein inneres Erkennen, ein Aufatmen, ein Entspannen? Oder sind diese Gedanken alle etwas irrsinnig, fremdartig und verwirrend? Nimm für dich das raus, was du mit deinem Kopf und Herz fassen kannst, was dir richtig und sinnvoll erschein und sich gut anfühlt.

 

Von Barbara Stemmler

© Text und Bild

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Kommentare: 1
  • #1

    Gisela Burri (Freitag, 04 Dezember 2020 20:39)

    Danke liebe Barbara!
    Wie schön und wertvoll, dass du all diese Gedanken und Erfahrungen mit uns teilst!
    Ich habe gestern Rebecca unserer Tochter die an Weihnachten ihr erstes Kind erwartet, das EpiNo gebracht. Irgendwie hatte ich dabei ein nicht ganz stimmiges Gefühl. Als sie mich fragte, muss ich das? Wurde ich ganz unsicher, ich erklärte ihr das Handhaben und bemerkte dieses gegenseitige Unsicher sein. Rebecca: will ich das? brauch ich das? wie muss ich atmen dabei??
    Ich: Wieso muss sie das? Soll ich das Ding gleich wieder mit nehmen und meiner Intuition nein das braucht sie nicht nachgehen? Probiert’s doch mal aus gab ich ihr zur Antwort und dies beschäftigte mich auf meiner Heimfahrt.
    Und heute stosse ich auf diese Arbeit von dir! Was für ein Geschenk!
    Ich schicke es an Rebecca weiter !
    Wünsche dir alles Liebe Gisela